Fair zu handeln heißt ehrlich zu handeln, heißt anständig zu handeln und sich dabei an Spielregeln zu halten. So jedenfalls kann man es Wörterbüchern der deutschen Sprache entnehmen. Doch was bedeutet das konkret? Ich will mich dem über den heute so oft verwendeten und häufig überstrapazierten Begriff „Nachhaltigkeit“ nähern.
Urheber des Wortes ist der aus dem Königreich Sachsen stammende Oberberghauptmann Carl von Carlowitz. Im Jahr 1713 ist sein Werk Sylvicultura oeconomica erschienen, dessen Untertitel wie folgt lautet: „Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht, nebst gründlicher Darstellung, wie zuförderst durch Göttliches Benedeyen dem allenthalben und insgemein einreissenden Grossen Holtz-Mangel vermittelst Säe-, Pflanz- und Versetzung vielerhand Bäume zu prospiciren … Alles zu nothdürfftiger Versorgung des Hauß-, Bau-, Brau- Berg- und Schmeltz-Wesens.“ Darin schreibt er von „continuirlicher beständiger nachhaltender Nutzung“, womit eine Forstwirtschaft gemeint war, die dauerhaft Erträge sichert. Über 270 Jahre später, nämlich im Jahr 1987, wurde von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (der sogenannten Brundtland-Kommission) der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ (sustainable development) kreiert und wie folgt definiert: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Damit ist die 1. Dimension fairen Handelns ausgedrückt: Faires Handeln gegenüber der Nachwelt.
Auf der großen internationalen Umweltkonferenz in Rio de Janeiro im Jahr 1992 wurde diese Definition in der AGENDA 21 („Was zu tun ist im 21. Jahrhundert“) bestätigt und aktualisiert. Entscheidend war dabei die Aussage, dass Ökologie, Ökonomie und Soziales zur Deckung zu bringen und ein Ausgleich zwischen Nord und Süd („Dritte Welt“) notwendig ist. Es geht hier also um die 2. Dimension fairen Handelns: Faires Handeln gegenüber der Drittwelt.
In Rio de Janeiro wurde aber noch ein anderes entscheidendes Dokument erstellt: das Abkommen zum Erhalt der biologischen Vielfalt („Biodiversitätskonvention“), das sich auf Lebensräume, Arten und genetische Vielfalt bezieht. Es wurde von über 190 Staaten ratifiziert, auch von der Bundesrepublik Deutschland. Darin steckt die 3. Dimension fairen Handelns: Faires Handeln gegenüber der Mitwelt, zu der auch die Haus- und Nutztiere in menschlicher Obhut (?) gehören.
Aber wie handeln wir? Das sei am Beispiel der Nutztiere dargelegt. Über 60 Millionen Schweine werden bei uns pro Jahr geschlachtet. Allein in Niedersachsen gab es Ende 2014 einen Bestand von 8,83 Millionen Schweinen, 70.000 mehr als im Vorjahr. Dazu kommen andere Tierarten, die wie die meisten Schweine in Massentierhaltung gehalten werden. So existieren z. B. im Emsland 35,0 Millionen Geflügelstallplätze. Bis zu 50.000 Masthühner drängen sich in einem einzigen Stall. Um die Tierproduktion – anders kann man es nicht nennen – aufrecht zu erhalten, muss in großen Mengen Futter angebaut werden. 60 Prozent der deutschen Getreideproduktion und 70 Prozent der deutschen Ölsaatenproduktion landen in den Tiermägen. Aber das reicht nicht: Ein Drittel des Futters muss importiert werden, überwiegend Soja, und zwar von einer Gesamtfläche von 2,9 Millionen Hektar. In Brasilien, Argentinien und Paraguay boomt deshalb seit Jahren die Sojaindustrie. Immer neue Flächen kommen dazu, wofür die für das Erdklima wichtigen Regenwälder und tropischen Savannen vernichtet werden. 35 Fußballfelder Regenwald verschwinden pro Minute! Auf 45 Millionen Hektar – so groß wie Deutschland und die Niederlande zusammen – dehnen sich in den genannten Ländern schon die Sojamonokulturen aus. Für unseren „Bedarf“ an billigen Futtermitteln und billigem Fleisch wird die Artenvielfalt Südamerikas – Schwester Pflanze und Bruder Tier – geopfert. Und die Tiere, die von dem Sojaschrot leben, leiden mehr als dass sie leben.
Das ist in dreifacher Hinsicht nicht fair:
- Der Nachwelt werden belastete Böden, belastetes Wasser und ein aus den Fugen geratenes Klima hinterlassen.
- Den Menschen der Drittwelt werden Flächen für eigene Bedürfnisse entzogen: Kleinbauern, die ihr Auskommen hatten, werden zu billigen Landarbeitern oder sie verelenden in den Favelas der Großstädte.
- Die Mitwelt ist einerseits betroffen durch die Vernichtung der Regenwälder, andererseits durch die Massentierhaltung in unserem Land.
Der Philosoph Hans Jonas hat einen sittlichen Imperativ formuliert, der da lautet: „Prüfe jede Handlung, ob sie mit der Dauerhaftigkeit irdischen Lebens vereinbar ist!“ Was hat das mit uns Christen zu tun? Wir alle, die heute lebenden, die künftigen und die Menschen der sogenannten Dritten Welt sind ebenbürtige Kinder Gottes. Wir alle tragen Verantwortung für alle Menschen, denn Verantwortung ist unteilbar. Und wie ist das mit unserer Mitwelt? Ich denke an Genesis 9, diese wunderbare Darstellung aus dem Alten Testament, als Gott zu Noah und seinen Söhnen sprach: „Ich aber, siehe, ich richte einen Bund auf mit euch und euren Nachkommen und mit allen lebenden Wesen, die bei euch sind, Vögeln, Vieh und allem Wild des Feldes bei euch, mit allen, die aus der Arche gekommen sind. (…) Wenn sich der Bogen in den Wolken zeigt, dann will ich des Bundes gedenken, der da besteht zwischen mir und euch und allen lebenden Wesen.“ Doch wir haben diesen Bund offensichtlich aufgekündigt. Als Gemeinde (und natürlich auch als Einzelindividuen) sollten wir aber zu einer neuen Ethik kommen – als faire Menschen einer fairen Gemeinde.
Dazu sei abschließend ein Beispiel aufgeführt. Wenn wir Feste in der Gemeinde feiern, sollten wir weniger Fleisch und wenn Fleisch, dann solches aus artgerechter Tierhaltung anbieten, von Tieren, die aus der Region stammen, mit Futter aus der Region gefüttert worden sind und möglichst von ökologisch arbeitenden Betrieben kommen. Dann handeln wir fair gegenüber der Nachwelt, der Drittwelt und der Mitwelt! Und dann können wir ein Licht in der Welt sein. Dass etwas Neues wachsen kann, hat uns der gezeigt, nach dem wir den Namen Christen tragen.
Prof. Dr. Herbert Zucchi