St. Katharinen ist „Faire Gemeinde“

St. Katharinen sucht nach Möglichkeiten, sich deutlicher als bisher fair zu Schöpfung und Mitmenschen zu verhalten und sich zur „Fairen Gemeinde“ zu entwickeln. Im Juni 2015 fasste der Kirchenvorstand einen entsprechenden Beschluss, der Schritt für Schritt umgesetzt wird. In einer so großen und vielfältigen Gemeinde wie St. Katharinen ist dabei vieles zu bedenken. Eine – noch sehr kleine – Arbeitsgruppe möchte den Weg zur „Fairen Gemeinde“ gemeinsam mit den Gemeindemitgliedern, gestalten. In unseren Planungen können wir auf kompetente Unterstützung im Kirchenkreis und auf den Austausch mit anderen Osnabrücker Gemeinden bauen, die bereits entsprechende Maßnahmen umgesetzt haben.

Wir freuen uns über Verstärkung!

Monika Huber, Beate Nakamura, Hans-Ulrich Schwarznecker

Weitere Informationen zur Aktion „Faire Gemeinde“

Faire Gemeinde St. Katharinen 2015–2020

Der Faire Handel ist spätestens seit Gründung der GEPA in der evangelischen Kirche verankert. In Osnabrück arbeiten neben dem „Aktionszentrum Dritte Welt“ mit dem Weltladen auch der Kirchenkreis und die an das Bistum angegliederte Süd-Nord-Beratung daran, die Vorstellungen des Fairen Handels auch im Alltag der Kirchengemeinden umzusetzen. Besonderen Schwung bekam diese Idee durch die Zertifizierung Fairer Gemeinden, die intensiv zunächst im Bistum Osnabrück vorangetrieben, aber auch seit Jahren in einigen evangelischen Gemeinden des Kirchenkreises realisiert wird. Vor diesem Hintergrund entschloss sich 2015 auch die Gemeinde St. Katharinen, sich auf den Weg zu einer Fairen Gemeinde zu machen. Die Gründung einer Projektgruppe im Juni 2015 und eine Auftaktveranstaltung mit der Süd-Nord-Beratung im Herbst 2015, die in der Gemeinde auf positive Resonanz stieß, waren erste Schritte auf diesem Weg. Der Kirchenvorstand begleitet diesen Prozess kontinuierlich unter anderem in Klausurtagungen und mit notwendigen Beschlüssen.

Vorschläge zu einer Entwicklung zur Fairen Gemeinde wurden durch ein fünfköpfiges Projekt-Team erarbeitet. Dieses definierte in den ersten Treffen die Ziele, welche gut mit dem Profil der Gemeinde und dem Gemeindeleben vereinbar sind. Dabei kristallisierte sich eine übergeordnete Kernbotschaft heraus, welche die unterschiedlichen Aspekte Fairen Handels zusammenführt: Fair zur Mitwelt, fair zur Drittwelt, fair zur Nachwelt. Damit sind die Aspekte Umwelt- und Naturschutz, soziale Gerechtigkeit in aller Welt und unbedingte Nachhaltigkeit kurz und prägnant zusammengefasst. Bezogen auf die Beschaffung in der Gemeinde heißt das, es sollten biologisch und regional produzierte und fair gehandelte Waren gekauft werden.

Diese Botschaft sollte mithilfe eines entsprechenden Konzeptes in der Gemeinde verbreitet und – wo möglich – auch in die Praxis umgesetzt werden. Sehr schnell wurde (unter anderem auch im Austausch mit anderen Fairen Gemeinden) klar, dass in St. Katharinen der Verkauf von fairen Produkten keine zentrale Bedeutung haben kann. Einerseits ist der „Weltladen“ für die meisten Gemeindeglieder leicht zu erreichen, andererseits zeigte sich bereits bei den ersten „Verkaufsaktivitäten“, dass der Organisationsaufwand des Teams in keinem Verhältnis zum Interesse der Gemeindemitglieder und/oder dem Verkaufserlös stand. Deshalb wurde der Fokus auf folgende Aspekte gelegt:

  • Bedarfsanalyse der Gemeinde und daraus resultierende Umstellung der Beschaffung der Gemeinde (möglichst aller Gruppen und Einrichtungen) auf faire Produkte, wo dies noch nicht der Fall ist.
  • Integration der Themen rund um Fairen Handel beziehungsweise faires Konsumverhalten im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen/Gemeindeaktivitäten.
  • Veranstaltungen zu Themen im Kontext des Fairen Handels, bei denen auch Zielgruppen über die Gemeinde hinaus angesprochen werden.

Dabei orientierte sich das Projekt-Team an den Vorgaben zur Anerkennung als „Faire Gemeinde“ – auch wenn diese bei der Konzeption und der Arbeit des Teams nicht im Vordergrund stand. Dennoch erwies sich die gesamte Gemeinde als so aktiv, dass St. Katharinen bereits am 5. Februar 2017 im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes offiziell als Faire Gemeinde anerkannt wurde. Eine „Kauf-Fair-Karte“ zur Erleichterung des fairen Einkaufs konnte ausgegeben werden. 2018 wurde die Zielsetzung zudem ins Leitbild der Gemeinde aufgenommen: „Unsere Gemeinde richtet ihre Beschaffung von Waren und die Durchführung von Veranstaltungen an Kriterien des fairen Umgangs mit der Nachwelt, der Drittwelt und der Mitwelt aus. Als faire Gemeinde übernehmen wir soziale Verantwortung und berücksichtigen Voraussetzungen und Folgen unseres Konsums für die Schöpfung.“

2018 wurde mit der neuen Periode des Kirchenvorstandes ein regulärer Gemeindeausschuss Faire Gemeinde einberufen, der weiterhin aus den Mitgliedern des Projekt-Teams besteht und dessen Arbeit kontinuierlich weiterentwickelt.

1. Die Beschaffung in St. Katharinen

Nach einer Bedarfsermittlung in der Gemeinde (außer der Kita) wurden entsprechende Listen mit fairen Produkten zusammengestellt. Kaffee und Tee werden schon länger aus dem Fairen Handel bezogen. Es folgte die Umstellung auf faire Büromaterialien und Hygienepapier sowie Putz- und Reinigungsmittel, die mit Hilfe von Rahmenverträgen, welche die Wirtschaftsgesellschaft der Kirchen abgeschlossen hat, bezogen werden. Auch Präsente und die Bewirtung bei Treffen einzelner Ausschüsse, Gruppen und Arbeitskreise in der Gemeinde und (nach langer Vorbereitung) auch die Versorgung mit Würstchen bei diversen Gemeindefesten werden zunehmend fair gestaltet. Hier setzen vor allem auch die Hauptamtlichen (Pastoren, Diakonin, Kirchenkreiskantor, Küster, Sekretärin,) das Leitbild aktiv im Gemeindealltag um.

2. Aktivitäten im Rahmen von Gemeindeveranstaltungen und -gruppen

Um die Ideen des Fairen Handels in den unterschiedlichen Alters- und Gemeindegruppen von St. Katharinen fest zu verankern und immer wieder zu thematisieren, berichtet der Ausschuss Faire Gemeinde regelmäßig im Gemeindebrief über Veranstaltungen und Themen, die für St. Katharinen als Faire Gemeinde von Interesse sind.

Zudem beteiligt sich der Ausschuss an zahlreichen Gemeindeaktivitäten. Neben den Ausschussmitgliedern werden dabei häufig weitere Gemeindemitglieder in einem „unterstützenden Team“ von etwa 3-6 Personen ehrenamtlich aktiv, beispielsweise an Informations-, Verkaufs- oder Verkostungsständen.

Konfirmanden-Unterricht
Bereits seit 2015 gestaltet der Ausschuss regelmäßig eine Einheit des Konfirmandenunterrichts mit. Gestartet wurde damals mit einer Veranstaltung zu fairen Handys im Rahmen des KU8-Unterrichts. In den Folgejahren entwickelte die Gruppe eine Einheit des KU4-Unterrichts zum Thema Kakao und Schokolade. Daraus soll ein Modul mit Arbeitsmaterialien konzipiert werden, damit das Thema unabhängig von den Ausschussmitgliedern in den Konfi-Unterricht eingebunden werden kann. 2019 hat die Unterrichtseinheit zum Thema „Fairer Handel“ für die KU8-Konfirmanden erstmals im Weltladen stattgefunden. In Zukunft könnte möglicherweise auch der Jugenddiakon zu diesem Thema in den Konfirmandenunterricht einbezogen werden.

Erntedankgottesdienste
Seit 2015 gestaltet der Ausschuss Faire Gemeinde die Erntedankgottesdienste wesentlich mit. Dabei wurden in enger Zusammenarbeit mit der Pastorin und dem Pastor immer wieder neue Formate und Ideen entwickelt, wie die Themen rund um Fairen Konsum im Erntedankgottesdienst (immer „Gottesdienst für Jung und Alt“), thematisiert werden können und damit unser Dank für die Schöpfung gestaltet werden kann. Eine wesentliche Rolle spielte dabei auch immer die aktive Einbindung der Konfirmanden.

  • 2015 „Einfach fair – danken und handeln“. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten des Dankens, eine davon ist, dass wir uns auf den Weg machen, eine Faire Gemeinde zu werden. Am Ausgang konnten fair gehandelte Produkte gekauft werden.
  • 2016 „Ökologisch.Fair.Gerecht.Nachhaltig“. Konfirmanden malten große Plakate mit Produkten (Kürbis, Erdnuss u.a.), und es wurden die Produkte im Altarraum präsentiert und in unterschiedlichen Textbeiträgen erläutert, wem wir sie verdanken und warum sie fair gekauft werden sollten. Am Ausgang konnten Stücke von Kürbissen mit Rezeptvorschlägen mitgenommen werden, ebenso Erdnüsse)
  • 2017 „Unser täglich Brot“ – Erntedank-Frühstück mit unterschiedlichen Brotsorten und Marmeladenspenden aus der Gemeinde im leeren Kirchenraum. Texte zu Getreide und Brot. Brot wurde an die große Abendmahlsgemeinschaft innen an den Wänden entlang verteilt. Was übrig blieb konnte mitgenommen werden.
  • 2018 „Verwenden statt verschwenden“. Szenen und Impulse gegen Lebensmittelverschwendung (Ernterad mit geretteten Lebensmitteln); diese wurden am Ende unter Gottesdienstbesuchern verteilt, außerdem eine Postkarte eines Gemeindemitglieds mit einem Gericht, das aus „gerettetem Gemüse“ gekocht werden kann.
  • 2019 „Weniger ist mehr – plastikfrei einkaufen“. Die Notwendigkeit, die Schöpfung umfassend zu bewahren, wurde thematisiert und Szenen und Impulse zum plastikfreien Einkauf zusammen mit den KU4-Kindern gegeben. Die Gemeinde konnte Baumwoll-Beutel mit St. Katharinen-Aufdruck mitnehmen.

Weitere Gelegenheiten zur Vorstellung des Projekts „Faire Gemeinde“ (Gemeindefeste, Seniorennachmittag)

  • 2016 Teilnahme und Vorstellung des Teams beim Neujahrsempfang
  • 2017 Seniorennachmittag, Vorstellung des Projektteams und der Ziele in St. Katharinen
  • 2018 Seniorennachmittag zum Thema Tee
  • 2018 Klimabewusst kochen mit dem Männerkreis
  • 2016 und 2018 Teilnahme am Gemeindefest mit einem Verköstigungs- und Verkaufsstand, 2018 außerdem mit fairer Tombola

3. Öffentliche Veranstaltungen, organisiert vom Ausschuss Faire Gemeinde

Neben den obengenannten Beteiligungen an festen Formaten und Veranstaltungen der Gemeinde, organisiert der Ausschuss Faire Gemeinde auch Veranstaltungen, zu denen neben der Gemeinde eine breitere Öffentlichkeit eingeladen wird. Auch hier wurden unterschiedliche Formate entwickelt und umgesetzt.

  • 2015 „Ein Abend zum FairLeben“ – gemeinsam mit der Süd-Nord-Beratung Warum faire Produkte? Welche fairen Produkte gibt es und wie erkenne ich sie?
  • 2016 „Fastenspeise Schokolade“ ein interaktiver Abend rund um das Thema Kakao, mit einzelnen Stationen, Kurzfilm und Impuls von Pfr. Wilfried Steen (Fairer Handel Braunschweig)
  • 2016 „Bedrohte Schöpfung: Biologische Vielfalt unter Druck“ Vortrag von Herbert Zucchi mit Diskussion
  • 2017 „Wir wollen nur das Beste!“ Veranstaltung mit Fleischer Clemens Wessel und Herbert Zucchi zu Fleischproduktion, Fleischkonsum und globalem Handel
  • 2018 „Verwenden statt Verschwenden“ ein Abend über Ausmaß und Gründe der Lebensmittelverschwendung in Deutschland, zusammen mit den Lebensmittelrettern Osnabrück
  • 2018 „Wüstenwanderung“ mit Herbert Zucchi die Biodiversität im eigenen Stadtteil entdecken (Im Rahmen der religiösen Naturschutzwoche)
  • 2019 Faires Teekonzert in Zusammenarbeit mit Kirchenkreiskantor Arne Hatje
  • 2019 „Billig! Billig! Billig! hat einen hohen Preis“. Vortrag von Prälat Peter Kossen, Lengerich, zum Thema „Unfaire Bedingungen für Mensch und Tier in der Fleischindustrie“, gemeinsam mit Slow Food Osnabrück
  • 2016, 2017, 2019 Informations- und Verkaufsstand vor der Kirche an den Donnerstagen im September von 9.30 – 12 Uhr
  • 2019 Teilnahme an der Präsentation der Fairen Gemeinden, fairen Bildungseinrichtungen und des Weltladens vor dem Theater Osnabrück

Neben der Planung weiterer Veranstaltungen u.a. zum Thema faire Lebensmittelproduktion in Deutschland möchte der Ausschuss in Zukunft auch die Kita der Gemeinde einbeziehen. Hier könnte ein Schwerpunkt auf die Beschaffung, beispielsweise von Büro- und Bastelmaterialien gelegt werden. Zudem sind altersgerechte Aktivitäten unter dem Motto „fair zur Mitwelt, fair zur Drittwelt, fair zur Nachwelt“ vorstellbar, z.B. eine Führung durch den Kita-Garten mit Schwerpunkt Umweltschutz/Biodiversität. Auch das Frühstück, das ab August in der Kita eingeführt werden soll, kann ein „faires“ Frühstück sein. Dabei soll das Kita-Team eng in die Konzeption eingebunden werden. Eine erste Präsentation anlässlich der Einladung des neu gewählten KV Anfang 2019 ist von der Leitung und den Mitarbeiterinnen positiv aufgenommen worden. Aufgrund der hohen Belastung des Kita-Personals einerseits und der zeitlichen und inhaltlich begrenzten Ressourcen des Ausschusses andererseits, konnten die Perspektiven jedoch bislang nicht weiterentwickelt oder umgesetzt werden. Dies ist jedoch weiterhin von beiden Seiten gewünscht und geplant.

Weitere Ziele sind die Einbeziehung des Jugenddiakons in die Thematik sowie die Fertigstellung und konsequente Anwendung der Module im KU4- und KU8-Unterricht. Außerdem wird die Erweiterung des Ausschusses um eine Person diskutiert, um vor allem in der Beschaffung den Prozess noch vertiefen zu können, ohne andere gemeindeorientierte Ideen hintanstellen zu müssen.

Einen zentralen Punkt sieht der Ausschuss kritisch: Die langfristige und breit angelegte Verankerung der fairen Ziele und Beschaffung in der Gemeinde, unabhängig von den derzeitigen Akteuren. Auch wenn St. Katharinen offiziell als Faire Gemeinde anerkannt ist und die entsprechenden Verhaltensweisen im Leitbild festgeschrieben wurden, werden diese nicht immer und von allen im Gemeindealltag umgesetzt. Das deutet darauf hin, dass die vergangenen fünf Jahre noch nicht ausreichten, um diese fest im Bewusstsein der Gemeindemitglieder zu verankern. Um dies zu verändern, neue Ideen zu entwickeln und den internen Debatten neue Impulse zu geben, könnte eine externe Evaluation der bisherigen Arbeit, eventuell durch eine andere Faire Gemeinde, sinnvoll sein.

Beate Nakamura, Monika Huber, 21. Mai 2020

Faires Miteinander

St. Katharinen gehört seit 2017 zu den acht Fairen Gemeinden im Kirchenkreis Osnabrück. Unter dem Motto „Fair zur Mitwelt, fair zur Drittwelt, fair zur Nachwelt“ hatte die Gemeinde in den vergangenen Monaten mit kompetenter Begleitung durch die Süd Nord Beratung die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen. Anlässlich der Anerkennung betonte Dr. Joachim Jeska, Superintendent im Evangelischen Kirchenkreis Osnabrück, dass die Fairen Gemeinden nicht nur zur Bewahrung der Schöpfung, sondern vor allem zur Weiterentwicklung eines guten Miteinanders von Mensch, Tier und Natur, aber auch zum respektvollen Zusammenleben von Menschen in unterschiedlich wohlhabenden Regionen dieser Erde beitragen. Jan David Dreyer, ehemaliger Vorsitzender des Kirchvorstandes, unterstrich, dass die Anerkennung nur ein Etappenziel sei. „Wir alle sind als Gemeinde gefordert, diese Gedanken in unserem Gemeindeleben weiter zu entwickeln“, gab er den Gottesdienstbesuchern mit auf den Weg. Als praktische Hilfe für faires Einkaufsverhalten im Alltag erhielten diese zudem eine „Kauf fair!“-Karte mit den wichtigsten Siegeln für Fairen Handel.

Fair zu handeln heißt ehrlich zu handeln, heißt anständig zu handeln und sich dabei an Spielregeln zu halten. So jedenfalls kann man es Wörterbüchern der deutschen Sprache entnehmen. Doch was bedeutet das konkret? Ich will mich dem über den heute so oft verwendeten und häufig überstrapazierten Begriff „Nachhaltigkeit“ nähern.

Urheber des Wortes ist der aus dem Königreich Sachsen stammende Oberberghauptmann Carl von Carlowitz. Im Jahr 1713 ist sein Werk Sylvicultura oeconomica erschienen, dessen Untertitel wie folgt lautet: „Haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht, nebst gründlicher Darstellung, wie zuförderst durch Göttliches Benedeyen dem allenthalben und insgemein einreissenden Grossen Holtz-Mangel vermittelst Säe-, Pflanz- und Versetzung vielerhand Bäume zu prospiciren … Alles zu nothdürfftiger Versorgung des Hauß-, Bau-, Brau- Berg- und Schmeltz-Wesens.“ Darin schreibt er von „continuirlicher beständiger nachhaltender Nutzung“, womit eine Forstwirtschaft gemeint war, die dauerhaft Erträge sichert. Über 270 Jahre später, nämlich im Jahr 1987, wurde von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (der sogenannten Brundtland-Kommission) der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ (sustainable development) kreiert und wie folgt definiert: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Damit ist die 1. Dimension fairen Handelns ausgedrückt: Faires Handeln gegenüber der Nachwelt.

Auf der großen internationalen Umweltkonferenz in Rio de Janeiro im Jahr 1992 wurde diese Definition in der AGENDA 21 („Was zu tun ist im 21. Jahrhundert“) bestätigt und aktualisiert. Entscheidend war dabei die Aussage, dass Ökologie, Ökonomie und Soziales zur Deckung zu bringen und ein Ausgleich zwischen Nord und Süd („Dritte Welt“) notwendig ist. Es geht hier also um die 2. Dimension fairen Handelns: Faires Handeln gegenüber der Drittwelt.

In Rio de Janeiro wurde aber noch ein anderes entscheidendes Dokument erstellt: das Abkommen zum Erhalt der biologischen Vielfalt („Biodiversitätskonvention“), das sich auf Lebensräume, Arten und genetische Vielfalt bezieht. Es wurde von über 190 Staaten ratifiziert, auch von der Bundesrepublik Deutschland. Darin steckt die 3. Dimension fairen Handelns: Faires Handeln gegenüber der Mitwelt, zu der auch die Haus- und Nutztiere in menschlicher Obhut (?) gehören.

Aber wie handeln wir? Das sei am Beispiel der Nutztiere dargelegt. Über 60 Millionen Schweine werden bei uns pro Jahr geschlachtet. Allein in Niedersachsen gab es Ende 2014 einen Bestand von 8,83 Millionen Schweinen, 70.000 mehr als im Vorjahr. Dazu kommen andere Tierarten, die wie die meisten Schweine in Massentierhaltung gehalten werden. So existieren z. B. im Emsland 35,0 Millionen Geflügelstallplätze. Bis zu 50.000 Masthühner drängen sich in einem einzigen Stall. Um die Tierproduktion – anders kann man es nicht nennen – aufrecht zu erhalten, muss in großen Mengen Futter angebaut werden. 60 Prozent der deutschen Getreideproduktion und 70 Prozent der deutschen Ölsaatenproduktion landen in den Tiermägen. Aber das reicht nicht: Ein Drittel des Futters muss importiert werden, überwiegend Soja, und zwar von einer Gesamtfläche von 2,9 Millionen Hektar. In Brasilien, Argentinien und Paraguay boomt deshalb seit Jahren die Sojaindustrie. Immer neue Flächen kommen dazu, wofür die für das Erdklima wichtigen Regenwälder und tropischen Savannen vernichtet werden. 35 Fußballfelder Regenwald verschwinden pro Minute! Auf 45 Millionen Hektar – so groß wie Deutschland und die Niederlande zusammen – dehnen sich in den genannten Ländern schon die Sojamonokulturen aus. Für unseren „Bedarf“ an billigen Futtermitteln und billigem Fleisch wird die Artenvielfalt Südamerikas – Schwester Pflanze und Bruder Tier – geopfert. Und die Tiere, die von dem Sojaschrot leben, leiden mehr als dass sie leben.

Das ist in dreifacher Hinsicht nicht fair:

  • Der Nachwelt werden belastete Böden, belastetes Wasser und ein aus den Fugen geratenes Klima hinterlassen.
  • Den Menschen der Drittwelt werden Flächen für eigene Bedürfnisse entzogen: Kleinbauern, die ihr Auskommen hatten, werden zu billigen Landarbeitern oder sie verelenden in den Favelas der Großstädte.
  • Die Mitwelt ist einerseits betroffen durch die Vernichtung der Regenwälder, andererseits durch die Massentierhaltung in unserem Land.

Der Philosoph Hans Jonas hat einen sittlichen Imperativ formuliert, der da lautet: „Prüfe jede Handlung, ob sie mit der Dauerhaftigkeit irdischen Lebens vereinbar ist!“ Was hat das mit uns Christen zu tun? Wir alle, die heute lebenden, die künftigen und die Menschen der sogenannten Dritten Welt sind ebenbürtige Kinder Gottes. Wir alle tragen Verantwortung für alle Menschen, denn Verantwortung ist unteilbar. Und wie ist das mit unserer Mitwelt? Ich denke an Genesis 9, diese wunderbare Darstellung aus dem Alten Testament, als Gott zu Noah und seinen Söhnen sprach: „Ich aber, siehe, ich richte einen Bund auf mit euch und euren Nachkommen und mit allen lebenden Wesen, die bei euch sind, Vögeln, Vieh und allem Wild des Feldes bei euch, mit allen, die aus der Arche gekommen sind. (…) Wenn sich der Bogen in den Wolken zeigt, dann will ich des Bundes gedenken, der da besteht zwischen mir und euch und allen lebenden Wesen.“ Doch wir haben diesen Bund offensichtlich aufgekündigt. Als Gemeinde (und natürlich auch als Einzelindividuen) sollten wir aber zu einer neuen Ethik kommen – als faire Menschen einer fairen Gemeinde.

Dazu sei abschließend ein Beispiel aufgeführt. Wenn wir Feste in der Gemeinde feiern, sollten wir weniger Fleisch und wenn Fleisch, dann solches aus artgerechter Tierhaltung anbieten, von Tieren, die aus der Region stammen, mit Futter aus der Region gefüttert worden sind und möglichst von ökologisch arbeitenden Betrieben kommen. Dann handeln wir fair gegenüber der Nachwelt, der Drittwelt und der Mitwelt! Und dann können wir ein Licht in der Welt sein. Dass etwas Neues wachsen kann, hat uns der gezeigt, nach dem wir den Namen Christen tragen.

Prof. Dr. Herbert Zucchi

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Monika Huber
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