Frage: Über welche Stationen sind Sie nach Osnabrück gekommen?
Hatje: Seit meinem 13. Lebensjahr habe ich Gottesdienste begleitet, das waren Vertretungen, in evangelischen oder katholischen Gemeinden, so wie es gerade kam. Während der Bundeswehr-Zeit und während des Studiums im Lübeck habe ich nebenamtlich als Kirchenmusiker auf einer C-Stelle in Münsterdorf bei Itzehoe gearbeitet. Dabei war ich in Landgemeinden unterwegs und es gab sehr spannende Gottesdienstorte, die wir besucht haben. Zum Beispiel die Schlosskapelle von Schloss Breitenburg, ein Kirchenpatronat der Grafen zu Rantzau. Oder eine Tennishalle mit Kneipe. Dort reisten wir an mit zwei Altarleuchtern, Altarkreuz, „Klingelbüdel“ und einer Kiste voller Gesangbücher an. Der Wirt nahm 20 Mark Miete für den Raum, in den eine treue Gemeinde zum Gottesdienst kam. Dort habe ich die Gottesdienste auf einem Klavier begleitet, das einen Klang wie ein „Saloon-Klavier“ hatte. Und im Hintergrund waren immer die Geräusche vom Tennisspiel zu hören, das parallel stattfand.
Frage: Ihr B-Examen haben Sie in Lübeck abgelegt. Wie ging es dann weiter?
Hatje: Das A-Examen habe ich in Hamburg gemacht. Während des Studiums dort hatte ich eine Assistenzstelle in St. Jacobi, einer der Hauptkirchen in Hamburg. Dort habe ich alles rund um die Kirchenmusik kennengelernt, inklusive der großen klassischen Werke. Rudolf Kelber war dort Kirchenmusiker und wir haben alle Kirchenmusik von Relevanz gemacht. Das reichte von Marienvesper, Monteverdi, Werke von Telemann, Bach, Mendelssohn, aber auch unbekanntere Stücke aus der Romantik bis hin zum Musical Jesus Christ Superstar. Das hat meinen Wunsch an meine eigene Laufbahn geprägt, was ich gerne umsetzen möchte. Nach Osnabrück bin ich direkt aus dem Studium gekommen. Die Prüfung hatte ich abgeschlossen, aber als ich hier anfing, hatte ich noch kein Abschlusszeugnis. Das kam erst ein paar Wochen später.
Frage: Und Sie sind die ganze Zeit geblieben. Wie kam das?
Hatje: Es ist ein Glück, dass hier Menschen arbeiten, die Musik schätzen. Es gibt einen guten und engen Kontakt zu den Pastor*innen in St. Katharinen. Wir pflegen einen guten Austausch, dadurch können wir hier eine sehr hohe musikalische Qualität bieten. Das wird anerkannt und rückgemeldet von den Menschen, die in die Kirche kommen. Ich habe viel lernen dürfen und habe sicher auch Fehler gemacht. Aber ich bin dann schnell angekommen und die Arbeit ist sehr fruchtbar.
Frage: Sie machen viel Chorarbeit in der Gemeinde?
Hatje: Ja, das stimmt. Der Bach-Chor ist eigenständig, aber fest an die Gemeinde angebunden. Er arbeitet überkonfessionell und die Menschen kommen aus einem größeren Einzugsgebiet. Auch Leute aus dem Umkreis, die kirchenmusikalisch interessiert sind, zieht es in die Stadt. Auch ein Vokalensemble, die Chorflakes, einen Kinderchor und einen English Choir habe ich zwischenzeitlich betreut. Inzwischen hat eine andere Leitung die Chorflakes übernommen. Außerdem leite ich das KatharinenBlech, das in seiner kleinen Besetzung kein klassischer Posaunenchor ist. Der Bach-Chor und das KatharinenBlech gestalten regelmäßig die Gottesdienstmusiken. Auch die aus der anglikanischen Tradition stammenden Even-Songs, Nine Lessons oder Christmas-Carols gehören zum Programm des Bach-Chores. Das pausiert jedoch im Moment, wegen der fehlenden Orgel. Es ist sehr gut, dass wir ein Angebot haben, das verschiedene Musikrichtungen abdeckt.
Frage: Welche Veränderungen haben Sie in den 25 Jahren Ihrer Dienstzeit wahrgenommen?
Hatje: Das ist unterschiedlich. Wenn ich musikalische Richtungen betrachte, ist die Vielfalt gewachsen. St. Katharinen steht für die klassische, traditionelle Kirchenmusik, das ist unser Schwerpunkt. Die Menschen in einer größeren Stadt wie Osnabrück orientieren sich an den Schwerpunkten der Gemeinden und gehen dorthin, wo sie die Ausrichtung finden, die ihrer eigenen Spiritualität am nächsten ist. Dadurch verteilt sich das sehr gut. Als Kirchenkreiskantor merke ich bei den Visitationen im Kirchenkreis Osnabrück, dass andere Gemeinden andere Schwerpunkte setzen. Das ist gut so, denn diese Vielfalt brauchen wir. Wir brauchen Elemente, wo sich die Menschen wiederfinden. Kirche lebt immer von den Menschen, die sie machen. Und von den Menschen, die sie machen, indem sie hingehen, zuhören und mitmachen. Wenn ich Organisatorisches betrachte, stelle ich fest, dass es schwieriger wird, regelmäßige Angebote zu füllen. Wenn Chorprobe war, war Chorprobe. Diese Disziplin hat sich geändert. Die Leute haben viele Termine, die sie wahrnehmen. Die Planungssicherheit nimmt ab. Auch die Finanzierung von Angeboten wird schwieriger, das bindet zeitliche Ressourcen, die man für das musikalische Dasein nicht mehr nutzen kann. Die Akquise von Finanzen ist nicht nebenbei zu erledigen.
Frage: Im Februar wurde die alte Ott-Orgel in der St.-Katharinen-Kirche abgebaut. Was fehlt derzeit für die Kirchenmusik?
Hatje: Das Üben am großen Instrument fehlt. Vieles verschiebt sich in Richtung Klaviermusik, zum Beispiel bei der Kulturnacht in Osnabrück. Wir haben einen Flügel in der Kirche, den gab es schon einige Zeit, bevor die Entscheidung für die neue Orgel fiel. Als Ersatz hat die Orgelbaufirma außerdem eine Truhenorgel zur Verfügung gestellt. Und natürlich sind der Bach-Chor oder das KatharinenBlech dabei. Das Repertoire mit einer großen Orgel ist natürlich etwas größer, aber für den Gemeindegesang und die Gestaltung der Gottesdienste leiden wir keine Not. Sich beschränken zu müssen, erhöht ein Stück weit die Kreativität.
Frage: Wissen Sie schon, was Sie spielen werden, wenn Sie zum ersten Mal an der neuen Orgel sitzen?
Hatje: Nein. Es geht aber am Anfang noch nicht um das Stück an sich. Der erste Kontakt mit einer Orgel ist immer etwas sehr Intimes, weil man nichts voneinander weiß. Die Orgel weiß nichts vom Organisten und umgekehrt ist es auch so. Es ist ein gegenseitiges Herantasten, das klingt vielleicht ein bisschen schräg, aber so ist es. Eine Orgel ist ein mechanisches Gerät und eine Mechanik gibt das wieder, was von ihrer eigenen Bewegung in dieses Instrument übertragen wird. Der erste Kontakt mit der Orgel wird aus Sitzen und Gucken bestehen, um herauszufinden, was ist da? Ich werde mir die verschiedenen Register einzeln sehr genau anhören, um die leisen Töne und die Grundsubstanz kennenzulernen. Hören, welche Stimmen die Orgel hat. Welches Stück ich dann zuerst spiele werde, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Vielleicht etwas von Bach oder es wird eine Choral-Improvisation. Das wird ein ganz behutsames „Herantasten“ im wahrsten Sinne.
Frage: Freuen Sie sich auf die neue Orgel?
Hatje: Ja, wir dürfen sehr gespannt sein auf die neue Orgel. In Osnabrück gibt es eine große Orgel-Tradition und in jeder Kirche gibt es eine Orgel, die eine bestimmte Ausrichtung hat. In St. Katharinen bekommen wir nun eine Orgel, die klassisch ausgerichtet ist, aber auch den symphonischen Bereich mit abdeckt. Es ist das Instrument, das für die Kirchengemeinde vonnöten ist und sie ist damit in den nächsten Jahrzehnten sehr gut aufgestellt. Die neue Orgel hat die Substanz, 300 Jahre zu stehen.
Vielen Dank für das Gespräch!